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„Kommen Sie mit Leda, der neuen Monheimerin, ins Gespräch“

23.09.2019

Über ein Jahr wurde darüber diskutiert. Seit diesem Wochenende ist sie nun tatsächlich da: Monheims neue Skulptur am Rheinufer, die Gänseliesel, in ihrer modernen Darstellung inspiriert durch die historische Figur der Leda, entsprungen aus der altgriechischen Mythologie, in einjähriger Arbeit zunächst gezeichnet und schließlich geformt von Professor Markus Lüpertz, einem der größten bildenden Künstler unserer Zeit. Und was macht die „Frau mit Gans“ nun am Rhein? Sie regt auch als fertiges Ergebnis weiterhin zur Diskussion an. Wie wunderbar!

Dabei geht ein spannender Riss durch die Wahrnehmung. In den Reihen der rund 400 Menschen, die am Samstagvormittag die Chance wahrnahmen, der Einweihung beizuwohnen und mit dem äußerst nahbaren Künstler anschließend sogar noch gemeinsam durch die begleitende Ausstellung zu flanieren, dominierten vor allem offener Applaus und positives Erstaunen. In den Sozialen Netzwerken überwiegen hingegen – ebenso eindeutig – eher Unverständnis und Zurückweisung. Wie kommt es zu diesem auffälligen Bruch?

Vielleicht lieferte der langjährige Kanzler der Kunstakademie Düsseldorf, Professor Peter M. Lynen, in seiner Laudatio am Samstag die treffendste Antwort auf diese Frage: „Kunst ist Kommunikation. Aber wir müssen uns in diese Kommunikation schon auch einbringen. Den Schlüssel zu einem Kunstwerk müssen wir uns selber feilen. Das nimmt uns der Künstler nicht ab“, lud Lynen zur durchaus kritischen Auseinandersetzung ein. „Künstler wie Lüpertz liefern zwar fertige Werke, aber was deren Entschlüsselung angeht, geben sie uns nur Rohlinge, allenfalls Dietriche an die Hand. Genau so muss es aber auch sein“, mahnte Lynen in Richtung der Zuhörenden. „Seien Sie misstrauisch, wenn Sie auf Künstler stoßen, die Ihnen die kompletten Antworten zu ihrem Werk gleich mitliefern. Lüpertz macht uns ein viel offeneres und großzügigeres Angebot. Er spannt einen riesigen Bogen von der Antike bis in die heutige Zeit. Mischen Sie Ihre lokalen Vorstellungen von der Gans und der Gänseliesel mit den mythischen Geschichten um Zeus und Leda. Nehmen Sie das Geschenk des Künstlers an und kommen Sie mit Leda, der neuen Monheimerin, ins Gespräch.“

Kein Nachbau, sondern eine neue Interpretaion

Warum so vielen schon der Einstieg in dieses Gespräch schwerfällt, liegt dabei auf der Hand: Lüpertz‘ Leda ist keine Nachmodellierung des ohnehin nur zweidimensionalen Stadtwappens, kein in Bronze gegossenes und anschließend Blau-Weiß bemaltes Stadtlogo und kein zweiter Gänselieselbrunnen-XXL. Selbst die erste bekannte Darstellung aus dem Amtssiegel der Monheimer Vögte im 17. Jahrhundert sieht völlig anders aus. Und auch Bürgermeister Daniel Zimmermann betonte daher bei der Enthüllung: „Es gibt sie einfach nicht, die einzig wahre Gänseliesel. Jede der dargestellten Figuren ist eine andere, jede ist eine Interpretation. Und ich bin Ihnen dankbar, Herr Professor Lüpertz, dass Ihre Interpretation der Gänseliesel diese junge Frau aus der rein volkstümlichen Schiene befreit hat, in der sie bis heute gefangen war.“ Das müsse nicht jeder schön finden, unterstrich der Bürgermeister. „Aber wir nehmen auch niemand etwas weg. Denn die anderen Gänselieseln werden durch Leda ja keineswegs ersetzt, sondern ergänzt. Es ist uns eine große Ehre, dass Sie dieses Werk für Monheim am Rhein geschaffen haben.“

Dass Lüpertz‘ Vorstellung der Gänseliesel bei manchen Traditionalisten anecke, müsse man aushalten, so Zimmermann. „Ich sehe darin sogar eine Chance, weil wir Menschen mit Kunst in Verbindung bringen, die sich sonst niemals damit beschäftigen würden.“ Und das sei eben genau das, was die Stadt seit einiger Zeit gezielt verfolge. „Mit Kunstwerken im öffentlichen Raum erreichen wir auch solche Leute, die sonst nie eine Ausstellung der Kunstakademie oder ein Museum für zeitgenössische Kunst gehen würden. Es gibt keine Hürde, keine Barriere, um Kunst im öffentlichen Raum zu betrachten. Sie ist für alle da.“ Den Monheimerinnen und Monheimern, die die realitätsnahe Abbildung ihrer Gänseliesel vermissen, sprach der Bürgermeister Trost zu. „Ja, wir haben hier an dieser einen Stelle etwas Gegenständliches abgegeben, dafür aber umso mehr Ausdrucksstärke, Kraft und Präsenz gewonnen.“

„Ich will nicht provozieren, sondern begeistern.“

Und der Meister selbst? Er brachte an diesem sonnendurchfluteten Wochenende viel Lob mit an den Rheinkilometer 714. Lob, das ebenfalls einen auffälligen Bruch zur Kritik von anderer Stelle darstellt. Die Zusammenarbeit mit Monheim am Rhein sei „sehr kunstfreundlich“ gewesen, adelte Lüpertz. „Das habe ich in dieser Form noch nicht erlebt. Das kenne ich auch ganz anders. Und das hat mich in meiner Arbeit sehr beflügelt.“ Nur so könne am Ende auch ein Werk entstehen, hinter dem man als Kunstschaffender zu 100 Prozent stehe. Genau das sei hier der Fall, so Lüpertz selbstbewusst. „Monheim am Rhein hat als Ergebnis eine revolutionäre Skulptur erhalten. Und ja, ich hoffe dafür natürlich auf die Zuneigung des Publikums, auch wenn sich diese bei meinen Arbeiten manchmal erst mit einer gewissen Verzögerung einstellt. Das Publikum soll mich für meine Arbeit lieben und schätzen. Ich will damit nicht provozieren. Ich will begeistern.“

Bei der Einweihung seiner Skulptur erwies Lüpertz das Wort eher anderen, wie bei der Enthüllung Professor Peter M. Lynen und bei der Ausstellungseröffnung dann Professor Raimund Stecker von der Hochschule der bildenden Künste in Essen. Doch schon am Freitag hatte er bei einer Vorabbegehung der Ausstellung seine Herangehensweise sehr ausführlich erläutert – ohne dabei den Vergleich mit den ganz Großen seiner Zunft zu scheuen: „Mich hat dieses Spiel zwischen Tier und Mensch fasziniert. Das ist ein Motiv, das in der Kunst ja immer wieder aufgegriffen wurde. Denken Sie zum Beispiel an Pablo Picasso und seinen ‚Mann mit Schaf‘. Ich habe mich aber vor allem auch mit der Darstellung der Leda durch Leonardo Da Vinci sehr beschäftigt. Auch dort können Sie ja schon diese etwas ungewöhnliche Kopfhaltung der Leda als besondere Form der Zuwendung beobachten. Das habe ich bei meiner Arbeit aufgegriffen – und verstärkt. Genau dadurch erfährt die Skulptur ihre ganz besondere Individualisierung. Und jede gute Skulptur muss ein solches Individuum sein. Sie muss eine gewisse Unverwechselbarkeit besitzen. Ich habe mich wirklich mit dem Monheimer Wappen auseinandergesetzt. Und gerade die jetzt geschaffene Zuwendung zwischen den Köpfen fasziniert doch.“

Eine Ausstellung voller Poesi und Rohheit

Die Ausstellung in der künftigen Kulturraffinerie K714, an der Rheinpromenade, direkt gegenüber der Skulptur, beginnt mit der überdimensionalen Präsentation eines Gedichts, das Lüpertz zu seiner Monheimer Arbeit verfasst hat. „Meine Leda ist ja schließlich eine eigene Geschichte, eine Story. Und ich texte halt auch gerne“, so der Maler, Bildhauer und Literat. Die Lyrik liefert seine Interpretation des antiken Stoffes. „Bei mir träumt die Leda ihre Begegnung mit Zeus lediglich – und erwacht doch verletzt.“

Nach der Lyrik wird es haptisch. Bei vielen Ausstellungsstücken gilt: Anfassen erlaubt! An seinen Figuren arbeitet Lüpertz fast ausschließlich allein. Selbst das Zusammenschweißen der einzelnen Gusselemente begleitet er mit, obwohl sie doch nur die von ihm zuvor festgelegten Formen wiedergeben. „Ich kann es nicht ertragen, wenn andere an meinen Sachen rumfummeln“, so der 78-jährige Bildhauer schmunzelnd. „Obwohl das eigentlich totaler Quatsch ist, weil die Leute, die in dieser Phase helfen, ihr Handwerk ja letztlich genauso gelernt haben wie ich.“ Spätestens das Bemalen sei dann aber wieder allein seine Geschichte. „Und ich liebe es, meine Figuren zu bemalen, weil ich eben Maler bin“, so Lüpertz. „Die Farbe gibt den Figuren nochmal ein ganz eigenes Leben – wenn auch ein Vergängliches. Denn ganz am Ende bleibt dann doch immer wieder nur die Form. Denken Sie an die ganzen alten griechischen Statuen – die waren auch mal alle bunt bemalt.“

Ein Kompliment an die Stadt, das lebendig bleibt

Auch der Sockel werde farblich „noch ordentlich etwas von der herunterlaufenden Bronze abkriegen.“ So bekomme alles seine Patina. „Und das ist doch das Schöne daran“, so Lüpertz. „Die Umwelteinflüsse werden die Bronze grüner machen. Und so wird sich diese Figur im Laufe der Jahrzehnte und hoffentlich ja sogar auch Jahrhunderte noch weiter verändern. Das ist es, was die Figur durch alle Zeiten immer lebendig erhalten wird. Und dazu dann dieser wirklich einmalige Standort. Sie hier in die Landschaft zu setzen, direkt an den Rhein, und dabei doch noch in der Nähe zur Stadt zu wissen, hat mich sofort begeistert. Dass die Stadt das mitgemacht hat, finde ich großartig. Ich freue mich schon auf das erste Hochwasser. Wenn die Säule unter Wasser steht und sich die Figur im Wasser zu spiegeln beginnt. Auch das bringt dann nochmal eine ganz besondere Lebendigkeit mit.“ Bürgermeister Daniel Zimmermann lobt in diesem Zusammenhang noch einmal die bemerkenswerte schnelle und reibungslose Zusammenarbeit mit dem Kreis und der Bezirksregierung hinsichtlich Baugenehmigung und Wasserrechten.

Die begleitende Ausstellung zur Enthüllung der Figur wird es nur in Monheim am Rhein geben. Lüpertz: „Sie ist ein Kompliment an die Stadt. Ich will mit ihr auch dokumentieren, dass man eben nicht mal einfach so hingeht und an der Figur losarbeitet. Es ist ein Schaffensprozess. Die Kunst ist auch nicht die Idee, sondern die Umsetzung. Zunächst kommt das Zeichnen. Erst viel später beginnt man dann zu modellieren. In der Umsetzung waren für mich vor allem die Holzschnitte ganz besonders wichtig, die ich der Stadt jetzt geschenkt habe. Alles, was Sie an der fertigen Figur sehen, ist gewollt, ist von Hand gemacht und ist notwendig gewesen. Und nur so kann man aus meiner Sicht auch ein bedeutendes Kunstwerk erschaffen. Diese offenen Arme. Diese Liebenswürdigkeit, diese Begeisterung meiner Kunst gegenüber waren für mich einmalig. Es hat mich sehr glücklich gemacht, für Monheim am Rhein zu arbeiten. Und ich wünsche mir, dass die Menschen meine Skulptur annehmen werden, selbst wenn sie heute vielleicht noch etwas dagegen haben. Ich habe in meinem Wirken viele Skulpturen geschaffen, bei denen es zunächst Widerstand gab. Teilweise wurden sie sogar geteert und gefedert. Doch inzwischen will sie keiner mehr hergeben. Das wünsche ich mir auch hier. Eines Tages werden Sie diese Figur nicht mehr aus Monheim am Rhein weghaben wollen – das verspreche ich Ihnen.“

Die Ausstellung in der künftigen Kulturraffinerie K714, Monheims in fortgeschrittener Planung befindlichen multifunktionalen Veranstaltungsstätte der Zukunft, ist noch bis 31. Oktober dienstags bis donnerstags von 16 bis 20 Uhr, freitags sogar bis 21 Uhr sowie an den Samstagen von 11 bis 21 Uhr und sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt fünf Euro. Kinder bis 14 Jahre haben kostenlosen Zutritt. (ts)