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Der Monheimer Geysir gewinnt an Form

31.07.2020

In Monheim am Rhein spielen die Förderung und Entwicklung von Kunst und Kultur eine besondere Rolle. Ziel ist es, möglichst vielen Menschen kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Das beginnt bei Kindern und Jugendlichen, die nach dem Konzept der Kunstschule Kunst, Kultur, Spiel und Medien als spezifische Ausdrucksformen des Menschen kennenlernen. Mit ihrer Hilfe erschließen sich Kinder und Jugendliche die Welt. Sie lernen nicht nur die Welt zu verstehen, sondern auch zu reflektieren und zu gestalten. Mehr als 2.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und mehr als 5.000 Unterrichtseinheiten pro Jahr bilden hier eine ausgezeichnete Grundlage. Auf dem Weg zur „Kunst für alle“ spielt die Kunst im öffentlichen Raum eine wichtige Rolle. Hier ist die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger unmittelbar möglich. Man muss nicht erst ein Museum betreten, sondern begegnet ihr auf dem Weg zur Arbeit, zu einer Verabredung oder zum Einkaufen. Jede und jeder kann und soll mitdiskutieren.

Der „Monheimer Geysir“ von Thomas Stricker im Kreisverkehr unmittelbar am Rhein ist für diesen Ort erdacht und entwickelt worden. Er spielt mit der Nähe zum Wasser, ergänzt den Fluss um eine durchaus spektakuläre vertikale, weithin sichtbare Dimension. Aber ganz anders als der Rhein ist der Geysir nicht immer und allzeit gegenwärtig, meistens ist sein Potential in einer leichten Nebelwolke jedoch sichtbar. Das wird immer dann deutlich, wenn die temporär für den Geysir notwendige Ampel den Verkehr stoppt. Denn dann steht der Ausbruch unmittelbar bevor. Tatsächlich wird für einen Moment der Fluss unseres Alltags unterbrochen. Und während man auf den Ausbruch wartet, könnte zum Beispiel das Nachdenken über die Kunst beginnen, die den Geysir auch ausmacht. Ist der Kreisverkehr etwa um den Geysir herum gebaut, wer war zuerst da, wahrscheinlich der Geysir? Das Nachdenken könnte sich auch mit unserem Verhältnis zur Natur, zu unserer Zeit, unserem Zeitmanagement, den immer häufigeren Nachrichten zum Klimawandel beschäftigen. Es ist ein anderes Nachdenken über Kunst, als das, mit dem man zum Beispiel der unmittelbaren Nachbarin, der „Leda“ von Markus Lüpertz, begegnet. Und es ist gerade die Kunst im öffentlichen Raum, die seit den 1960er-Jahren die Erweiterung und Veränderung des Kunstbegriff und das Sprechen, Diskutieren und Streiten über Kunst vorangetrieben hat.

Auch beim mittlerweile international wohl bekanntesten Langzeittest für Kunst im öffentlichen Raum, den 1977 entstandenen Münsteraner „Skulptur Projekten“, stritten die Bürgerinnen und Bürger besonders kontrovers um und über eine Skulptur von Claes Oldenburg. Interessanterweise damals wie heute nicht zuletzt auch um die Frage, ob dies Kunst oder Geldverschwendung sei. „Der Geysir hat für eine Diskussion über Kunst gesorgt, die es in unserer Stadt vorher so noch nicht gegeben hat und das bevor er überhaupt fertig gestellt wurde. Kunst, über die gesprochen wird, ist mir immer lieber als Kunst, über die nicht gesprochen wird. Die sachliche, kontroverse Auseinandersetzung mit dem Werk ist deshalb sehr bereichernd“, erklärt Katharina Braun, Leiterin der städtischen Kunstschule in Monheim am Rhein und zuständig für den Bereich Kunst im öffentlichen Raum.

Ein besonderes Kunstwerk an einem besonderen Ort

Die Entwicklung des Bereichs „Kunst im öffentlichen Raum“ ist für die Stadt Monheim am Rhein immer wieder ein Einstieg in einen neuen, sich stetig verändernden Prozess. Es ist eine gesamtstädtische und interdisziplinäre Aufgabe, die von vielen verschiedenen Akteuren begleitet wird. Thomas Stricker geht in seinen für den öffentlichen Raum geschaffenen Arbeiten meist über das herkömmliche Verständnis von Skulptur hinaus. Ausgehend von der Natur und Naturphänomenen experimentiert er in seinen Arbeiten gerne mit den Möglichkeiten zeitgenössischer Ausdrucksformen. „Aspekte der Konzeptkunst, der sozialen Plastik und der Landschaftsarchitektur werden bei ihm mit dem traditionellen Skulpturenbegriff verwoben. Künstliches und Natürliches geht in seinen Werken ineinander über, wird miteinander verschmolzen, so dass Betrachtende oft beim zweiten Hinschauen überhaupt erst realisieren, dass sie gerade ein Kunstwerk und kein natürliches Phänomen betrachten“, beschreibt Dr. Josef Spiegel die Arbeiten des in Düsseldorf lebenden Schweizers. Spiegel berät die Stadt Monheim am Rhein als Experte bei der Anschaffung zeitgenössischer Kunstwerke auch und gerade für den öffentlichen Raum. Und so wie von ihm beschrieben, verhält es sich auch beim „Monheimer Geysir“, der an anderer Stelle natürlich auch ein ganz „normales“ Naturphänomen sein könnte.

Felsbrocken, Nebelschwaden, über mehrere Stunden immer heftiger aufbrodelndes Wasser und inmitten davon schließlich eine sich temporär bis in zwölf Meter Höhe auftürmende Wassersäule, die durch das Pulsieren immer wieder neue skulpturale Formen bildet – und die sogar den sonst scheinbar rastlos fließenden Autoverkehr für einige Minuten zum Erliegen bringt. Der „Monheimer Geysir“ von Thomas Stricker konnte sich in einem Wettbewerb und vor einer eigens für die Realisierung von Kunst im öffentlichen Raum installierten Monheimer Kunstkommission aus vielen Gründen für eine Umsetzung am jetzigen Standort durchsetzen. Er überzeugte die Jury durch einen innovativen, erweiterten Skulpturenbegriff, der das Element Wasser in direkter Nähe zum Rhein in überraschender und so noch nicht umgesetzter Weise aufgreift. Monheim am Rhein darf sich auf einen bald sehr besonderen Ort freuen.

Ein einzigartiges Projekt

Doch für dessen Schaffung ist Pionierarbeit vonnöten. Hierzu müssen sehr viele Gewerke und Fachleute interdisziplinär zusammenarbeiten – viele Geysire sind noch nicht gebaut worden. So konnten die Kosten nicht endgültig im Vorhinein kalkuliert werden. Aus zunächst veranschlagten 450.000 Euro werden am Ende wohl mindestens 600.000 Euro werden. Der „Monheimer Geysir“ ist kein Kunstwerk von der Stange. Weder die beauftragte Planungs- und Ausführungsfirma Minkenberg noch das beauftragte Wassertechnik-Unternehmen Oase, das viele Menschen wohl tatsächlich aus dem heimischen Garten oder von den Wasserspielen wie in Las Vegas kennen, haben eine solche Wasser-Installation bisher realisiert.

„Die Vielfalt in Kunst und Kultur ist ein wichtiges Element unserer Philosophie“, betont Katharina Braun. „Stadtkultur wird seit Jahrhunderten durch Kunst im öffentlichen Raum mitgestaltet. Dabei ging es nie ums Gefallen, sondern um die Begegnung und die Auseinandersetzung mit Kunst. Jeder positioniert sich zu ihr, und das ist gut so. Und sie zieht Menschen an – von nah und fern, und auch das freut uns.“

Doch warum ausgerechnet dieser Standort für einen Geysir? Warum keine andere Stelle, irgendwo am Rand, wo er nicht stört? Die Antwort gibt Bürgermeister Daniel Zimmermann selbst. „Weil es dann eben doch nicht viel mehr als ein großer Springbrunnen wäre, wie einige ja gern behaupten. Nicht die Stelle wurde für den Geysir ausgewählt, sondern der Geysir für diese Stelle.“ Das Konzept wurde genau auf den Standort bezogen konzipiert. Künstler Thomas Stricker hat bewusst die Ambivalenz dieses Raumes aufgegriffen und schafft dort, formuliert in seinen eigenen Worten, „einen urbanen Raum, wo Bewegung und Stillstand, Schönheit und Verkehr, Ordnung und Zerstörung sich reiben“, einen Ort der zeigt, „wie fern wir dem Unvorhersehbaren sind und dabei in der Utopie, die Natur der Dinge zu beherrschen, verweilen“.

Die Natur bestimmt Zeitpunkt und Häufigkeit der Ausbrüche

Ausbrechen wird der Geysir künftig nachdem die Sonne 64 Stunden geschienen hat. Der Verkehr muss aus Sicherheitsgründen nur während der wenigen Hauptausbrüche im Jahr und immer nur für wenige Minuten durch mobile Ampeln angehalten werden. Da die Eruptionen nach dem künstlerischen Konzept zehn- bis zwanzigmal im Jahr – also mit wochenlangen Zwischenzeiten – stattfinden werden, ist nur mit wenigen Behinderungen des Verkehrs zu rechnen. Zum Vergleich: Eine normale Ampel mit einem typischen 90-sekündigen Umlauf hält den Verkehr 960 Mal am Tag an. Der „Monheimer Geysir“ wird jedoch auch abseits der Hauptausbrüche durch den über ihm schwebenden Nebel und seine Detailgestaltung das ganze Jahr hindurch zum Hinschauen einladen. Thomas Stricker: „Die Natur wird bestimmen, wann der auslösende Moment gekommen ist. Fest steht nur: Immer mal wieder verwandelt sich die natürlich bewachsene, leicht vernebelte Insel in eine gewaltige temporäre Monumentalität. Die liebliche ruhige Stimmung wird durch kurz anhaltende Intervalle einer unberechenbar pulsierenden Wasserskulptur abgelöst. Für eine kurze Zeit holt sich die Natur ihr Recht und ihren Raum zurück. Dann zieht sich das Wasser wieder in ein kleines Becken, mitten auf dem mit dunklen Flusskieseln bedeckten und zart bepflanzten Rund zurück.“

Eine herausragende Arbeit

„Wir haben eine Skulptur für diesen Ort ausgeschrieben und von Thomas Stricker – auch zu unserer Überraschung – eine außergewöhnliche, im wahrsten Sinne des Wortes, herausragende Arbeit bekommen, die einmal mehr zeigt, wie auch in der Kunst im Öffentlichen Raum Monheims städtischer Gedanke der Vielfalt wegweisend ist.“, ist sich Kunstschulleiterin Katharina Braun sicher. „Gerade die Auflösung des klassischen Skulpturenbegriffs wird für zahlreiche Beobachtende der Ausbrüche künftig Anregung zum Austausch und Motivation zum Besuch unserer Stadt werden. Ich freue mich jetzt schon riesig auf die Eröffnung, die wir am 3. Oktober feiern werden.“

Vor wenigen Tagen wurde die unterirdisch liegende Technik in der Mitte und am Rande des Kreisverkehrs, direkt am Monheimer Schiffsanleger und neben der über 500 Jahre alten Marienkapelle sowie den architektonisch modernen Rheinkieselbauten installiert. In den kommenden Tagen wird diese Technik nun eingerichtet, bevor an der Oberfläche die Aufbauten mit den Gletscherfindlingen und Pflanzungen beginnen werden. Der Monheimer Geysir nimmt Form an. (mm/ts)

Den besonderen Ort am Rhein für ein ganz besonderes Kunstwerk zeigt auch ein kurzer Video-Clip im städtischen YouTube-Channel, der zur Einweihungsfeier am 3. Oktober einlädt.